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kapitel 12: hochzeitskleider kauft man nicht im supermarkt

Weltmetropole an der Donau, 1. April 2015

 

Als ich so in der Truhe meiner Erinnerungen rumkramte, fiel mir zwischen allerlei bunten Kram ein weißer Zettel auf. Ich war ein bisschen verwundert, denn dieses kleine weiße unscheinbare Ding brannte sich in meinen Augen fest. Es ließ mich nicht mehr los. Die Farben in meinem Sichtfeld verschwommen zu einem einzigen schwarzen Abgrund, nur der Zettel blieb strahlend weiß. Es war, als hätte der Endkampf „Gut gegen Böse“ begonnen, sogar noch bevor der neue Star Wars Teil im Kino angelaufen war.

 

Schlechtes Timing würde sich wohl Disney denken, während George Lukas das jetzt ja egal sein konnte. Ihn ging der Kampf zwischen Gut und Böse jetzt nichts mehr an. Die Macht ist nicht mehr mit dem lieben George. Die Macht aller Mächte ist jetzt Disney mit seinen bunten Traumwelten. Und meine farbenfrohe Welt hatte sich jetzt gerade in diesem Augenblick in ein schwarzes Loch verwandelt. Nur dieser weiße Zettel schien über allem zu schweben. Ich versuchte ihn zu greifen, aber irgendwie war es wie ein Hologramm. Bei jedem Versuch ihn mir zu schnappen, griff ich durch den Zettel hindurch ins Leere.

 

Es war wie verhext und ich fluchte. Ich wollte wissen, was auf diesem Zettel verdammt noch mal draufstand. Dann spürte ich wie eine Hand meinen Arm packte: „Tschuldigung der Herr, ich müsste auch kurz mal da was rausholen.“ Ich schaute kurz sehr verwirrt. Ich musste mich wohl wieder in meinen Tagträumen verloren haben. Eine junge Frau mit pechschwarzem Haar und tiefblauen Augen lächelte mich an. Ich stand vor dem Tiefkühlregal im Supermarkt bei mir um die Ecke und mein Blick neigte sich etwas nach unten. Sie war wirklich nicht sehr groß, aber doch eine positiv anmutende Erscheinung. Ich spürte für einen kleinen Augenblick die gute Seite der Macht oder war es doch nur das leckere Vanilleeis, welches mir aus den tiefen der Kälte der Tiefkühltruhe zurief.

 

Ich trat einen Schritt zur Seite: „Oh kein Problem... bitte sehr“ Erst jetzt fiel mir auf, was die junge Frau anhatte. Ich konnte meinen Augen fast nicht glauben und dachte einen Moment das grelle Licht im Supermarkt hätte mich nach meinem kleinen Abstecher durch mein Gedankenwirrwarr geblendet. Dem war aber wohl nicht so, selbst nach mehrmaligem heftigem Blinzeln und Kopf schütteln hatte sich, an dem was auf meine „Augenrezeptoren“ fiel und die Informationen in meinem Gehirn zu einem Bild umwandelte, nichts geändert. Die kleine schwarzhaarige Frau, mit den bestechend schönen blauen Augen, in denen ihre Pupillen, wie zwei Insel im karibischen Meer wirkten, stand in einem weißen Hochzeitskleid vor mir. Ihr schwarzes Haar war von einem weißen Schleier durchdrungen. Einen Ehering konnte ich nicht entdecken und auch sonst wirkte sie nicht, als wäre sie grad von einer Hochzeit gekommen oder sollte noch zu einer gehen wollen.

 

Das Kleid wirkte zwar neu, aber sie schien nicht so wirklich für eine anstehende oder bereits laufende Hochzeit hergerichtet. Sie war weder geschminkt, noch hatte sie eine besondere Frisur oder sonstigen Schmuck an sich, den man an ihr hätte vermuten sollen, wenn sie einem an der Kirche zum Weg zum Traualtar oder am Standesamt begegnet wäre. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und mir fiel nicht mehr ein als ein krampfhaft anmutender Witz: „Frostiger Traualtar den du dir da ausgesucht hast...“ Sie war tief ins Kühlregal hineingebeugt: „Nein nein ich suche nur die Erbsen...“ Dann wandte sie sich mir zu und lächelte: „Weißt du vielleicht, wo die sind? Normalerweise liegen die doch hier?“

 

Mein Grad der Verwirrung konnte nicht mehr höher steigen, eine unbändige Neugier kroch in mir empor. Was zum Teufel machte sie in diesem Aufzug hier im Supermarkt. Okay, ja wie dumm von mir, sie suchte wohl nach Erbsen. Aber warum zum Teufel in einem Hochzeitskleid? „Hmmm ich esse keine Erbsen, aber sonst ist alles okay bei dir?“, war das einzige was mir als Antwort einfiel. „Ja klar, warum sollte es das nicht? Bei dir? Ach Menno ich wollte jetzt hier nicht Stunden damit vergeuden nur um diese blöden Erbsen zu finden... aber ich wollte ihn heute überraschen, meinen geliebten Freund. Und Erbsenpüree isst er doch für sein Leben gerne, mein liebster Schatz.“ „Schon gut, hier sind sie ja ....“, beruhigte ich sie. Ich griff ins Regal daneben und fand wunderbar 500 Gramm herrlich gefrorene grüne Erbsen und reichte ihr die Packung. Sie strahlte, nahm die Packung und wollte sich grad umdrehen. Dabei fiel mir ein kleiner schwarz-blauer erbsengroßer Fleck auf ihrem Kleid auf und ich deutete darauf.

 

Sie erschrak, rieb sofort mit ihren Fingerspitzen dran. Wie zu erwarten, machte dies die Sache nicht besser, der kleine Fleck entwickelte sich zu einer übergalaktischen Katastrophe und sie war den Tränen nahe. Die Macht war eindeutig nicht mehr mit ihr, falls sie es vorher gewesen war. Sie schaute mich mit wässrigen Augen an. Ihr Mund zitterte und sie ließ die Packung mit den Erbsen fallen, welche dabei aufging. Unzählig kleine gefrorene Erbsen kullerten über den Boden und verteilten sich zwischen den Kühlregalen. Mir waren die Erbsen allemal lieber als die sich ankündigenden Tränentropfen und überlegte. Da fiel mir wie vom Blitz getroffen ein, dass doch direkt ums Eck eine kleine Reinigung befand. Ich schnappte ihre kleine Hand, bevor sie was sagen konnte und zog sie hinter mir her. „Komm, ich helfe dir!“

 

Ein Supermarktmitarbeiter wollte uns noch was hinterherrufen, aber dann waren wir auch schon draußen. Auf dem Weg zur Reinigung sah ich, dass sie unter dem Kleid einfache rosa Converse-Schuhe mit blauen Sternchen an den Sohlen trug. Oh, welch ein Anblick, das wohl gewesen sein musste für den Typ in der Reinigung, als wir da reinstürzten. Ich war ihr in der Hektik dummerweise auf den Rock getreten, glücklicherweise ist dabei nichts daran gerissen. Jedoch lagen wir beide eng umschlungen im Eingangsbereich der Reinigung auf dem Boden. Sie hatte versucht sich noch an mir festzuhalten, während ich sie umriss.

 

Neben dem schwarzen Fleck, hatte das Kleid jetzt auch noch einen Schuhabdruck von meiner Sohle zu beklagen. Der Arbeiter in der Reinigung kratze sich an seinem Vollbart, schien aber nicht weiter aufgeregt zu sein. Ich bekam das Ganze nur noch so halb mit. Ich war ungebremst mit meinem Kopf auf den Boden geknallt und sah buchstäblich die Sterne, eher sogar noch den Sternenkrieg. Mir war für einen kurzen Moment schwarz vor Augen geworden.

 

Herzblatt Mani aus der Wahnsinnsnacht mit dem starken Harald (Kapitel 7) stand vor mir und hielt mir einen weißen Zettel entgegen. Ich versuchte wieder danach zu greifen, aber ich schaffte es nicht. Wieder rüttelte es an mir und ich kam langsam zu mir. Es war die Frau im Hochzeitskleid. Sie hatte sich besorgt über mich gebeugt und der Reinigungsmitarbeiter wollte grad gerade den Notarzt rufen. Ich raffte mich langsam auf, mein Kopf hämmerte und ich war noch ziemlich orientierungslos. Dann schaffte ich es doch wieder aufzustehen und auf noch wackligen Beinen versuchte ich eine Entschuldigung für mein überstürztes Handeln rauszubekommen. Sie schaute mich an und konnte sogar wieder lachen: „Hauptsache es ist dir nichts Schlimmeres passiert mein Lieber! Die Flecken werden, die hier ja wohl rausbekommen...“

 

Der Reinigungsmensch nickte zuversichtlich und schien auch nicht wirklich interessiert daran, was da genau vor sich ging. Er wirkte etwas schläfrig und kratzte sich am Hinterkopf. Ich spürte die Beule an meinem Kopf und es platzte aus mir heraus: „Warum zum Teufel läufst du auch in diesem Kleid zum Einkaufen? Wo ist dein Ehegatte? Wann ist die Hochzeit? What the fuck ...?“ Sie antwortete etwas reumütig und halb entschuldigend: „Es gibt keinen Bräutigam, es gibt nicht mal eine Hochzeit...“ „Häh??“ „Nun ja ich bin an einem Geschäft für Hochzeitskleidung vorbei gekommen...da war Ausverkauf....und das Kleid ist doch wirklich hübsch, es steht mir doch super oder nicht??“ Sie drehte sich einmal um sich selbst, das Kleid schwang um sie herum, der Stoff schien in der Luft zu tanzen. Okay also egal wie verrückt die gewesen sein musste, bezaubernd war sie auf jeden Fall.

 

Ihr Charme hatte mich schon ergriffen, aber ich versuchte etwas genervt zu klingen: „Ja nee ist klar... aber warum dieses ganze Theater!?“ „Ich wollte meinen Freund überraschen, wir sind jetzt schon zwei Jahre zusammen und ich wünsche mir doch so sehr, dass er mich endlich fragt. Ich hab das Kleid einfach gekauft, bin zum Supermarkt, wollte ihm sein Lieblingsessen, Erbsenpurré, zubereiten und ihn im Kleid überraschen.

 

Findest du das keine gute Idee?“ Sie schaute mich wieder mit ihren tiefblauen Augen an, ihr fragender Blick erhoffte sich von mir Zuspruch. Ich schüttelte innerlich den Kopf, das war doch kompletter Irrsinn, totaler Wahnsinn - was dachte die sich - komplett verrückt! Aber ich brachte es nicht übers Herz etwas Negatives zu sagen und bejahte ihr Vorhaben einfach. Mein Kopf hämmerte derart, dass ich eigentlich auch nicht mehr klar denken konnte. Ich ließ sie in der Reinigung zurück, kaum zu Hause angekommen fiel ich in mein Bett. Alles drehte sich, ich schleppte mich noch zum Klo und musste mich übergeben. Danach schien mein Kopfweh etwas nachzulassen. Ich suchte trotzdem im Badezimmerschrank nach Kopfschmerztabletten. Dabei fiel mir ein weißer Zettel zwischen ein paar Packungen Tabletten auf, ich griff danach. Dieses Mal bekam ich ihn tatsächlich zu fassen. Ich legte mich wieder in mein Bett und ich las:

 

Das Regenbogengedicht

Das Leben ist ein Regenbogen und du bist mein Schatz. 

Dein Anblick schoss mir in mein Herz, oh du meine Katz.

Ich habe eine Maus gesehen, sie war ein Halbgott in Weiß.

Ich war so blauäugig sie zu nennen mein, sie kostete mich viel Schweiß.

Verzeih mir! Zu jener Zeit war ich noch grün hinter den Ohren.

Um nach den richtigen Reichtümern zu bohren.

Sah dich in den Armen eines anderen. Gelb vor Neid bin ich nun,

Ärger mich nur noch in grün und blau für mein tun.

Von nun an werde ich wieder eine rosarote Brille tragen.

Vor dir war mein Leben nur eine graue Maus, ich war am Verzagen

Du bist meine neue goldene Mitte, von Kopf über Fuß zur Titte.

Hier steht es jetzt schwarz auf weiß,

oh du mein wunderschönster erster Preis.

 

Gezeichnet,

Dein ergebener Manfred

 

Das was ich da las, war definitiv fern von Gut und Böse. Ich schlug mir vor Entsetzen wieder gegen den Kopf, es tat höllisch weh und ich schlief wieder ein.

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