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kapitel 10: blowin in the wind (teil 2)

Dorf in der Pampa, 3.März 2005

 

Wir befanden uns immer noch in besagter Nacht mit Lupo und Oberkommissar Petersen, der sich grad verabschiedet hatte (siehe Kapitel 9). Der Mond stand hoch am Himmel und es war eine recht warme Sommernacht. Anton und Lupo machten immer noch keine Anstalten aufzustehen und die Bar zu verlassen. Lupo, der Anton mittlerweile verraten hatte, dass er bei der städtischen Mordkommission als Kommissar seine Brötchen verdiente, war noch viel zu motiviert als, dass er jetzt schon den Nachhauseweg antreten konnte.

 

Das viele Bier hatte ein Feuer in Lupo auflodern lassen, welches ihn nun so richtig Fahrt kommen ließ. Lupo hatte sich in die Idee verbissen, unbedingt in jener Nacht noch irgendwo Karaoke singen zu müssen. Besonders nach dieser angeregten Diskussion mit Anton über ihre musikalischen Idole, war Lupo davon durch nichts in der Welt mehr von seinem Hirngespinst abzubringen. Der Barbesitzer schaute ihn verdutzt an, als er begann sein leeres Bierglas als Mikro zu benutzen und die ersten falschen Töne aus seinem Mund sprudelten.

 

Anton unterbrach Lupos Sangeskünste und erzählte ihm von der versifften Karaoke-Bar, welche sich nur 10 Autominuten, direkt hinter der Grenze in Belgien befand und welche immer offen hatte, egal an welchem Tag und egal welche Uhrzeit. Dort würde uns sicher noch ein kühles belgisches Bier serviert werden und singen konnte Lupo dort auch. Es war eine dieser Bars, wie man sie sich nur im tiefsten Amerika irgendwo in der texanischen Pampa vorstellen konnte. Die Bar trug den wunderbar kreativen Namen „karaoké & bière“ und stand irgendwo im absoluten Nichts an einer langgezogenen Landstraße, die scheinbar ins belgische Nirgendwo führte. Weit und breit waren endlos lange Landstriche mit riesigen Feldern zu sehen, an denen aber schon länger scheinbar nichts mehr angebaut wurde. Hin und wieder kreuzte ein Feldweg, die doch recht breite und gut befahrbare Hauptstraße.

 

Auf unserem Weg dahin führte es uns an einigen alten Häuserruinen vorbei, die früher wohl mal Rotlichtetablissements waren. Jetzt aber dienten sie wohl eher als Unterschlupf für Junkies und sonstige Gestalten, besonders in der Dunkelheit der Nacht machte man besser einen Bogen um die Ruinen. Man musste ja keine schlafenden Geister, oder in diesem Fall Unholde aller Art, wecken. Nach einer kurzen Weile sahen wir schon weit durch die Dunkelheit die neon-rosa leuchtende Leuchtschrift unserer geliebten Karaoke-Bar aufleuchten. Neben dem Schriftzug „karaoké & bière“ waren ein überlebensgroßes Glas Bier und ein Mikro angebracht. Die Witterungsverhältnisse hatten diesen jedoch schon sehr zugesetzt, was man aber im Schutz der Dunkelheit nur schwer erkennen konnte.

 

Wir standen vor der Eingangstür und klingelten. Dann ging eine kleine Luke in der Tür auf, zwei misstrauische Augen musterten uns hindurch. Es dauerte einen Moment. Dann hörten wir ein Klicken, die Tür öffnete sich und zuerst wummerte uns der Bass entgegen, bevor wir auch Musik vernehmen konnten. Ich hatte diesen Moment schon oft durchlebt und obwohl ich jedes Mal reingekommen war, spürte ich immer wieder diese Spannung, die ihn mir hochkroch, wenn ich vor dieser Tür stand. Vielleicht war es auch nur die schon angetrunkene Vorfreude auf weiteren Alkohol, die ich verspürte.

 

Drinnen schien ein recht schummriges, farbiges Licht und beleuchtete sehr spärlich die Konturen einiger wenigen trostlosen Gestalten, die sich an diesem Abend, oder vielleicht war es doch schon eher angebracht diesen als Mittwochmorgen zu betiteln, hier eingefunden hatten. Die Innenausstattung der Bar war schon etwas in die Jahre gekommen, einigermaßen geschmacklos und erinnerte eher an einen Puff als an eine gemütliche oder gar moderne Kneipe. Aber genau das machte wohl auch den Charme von diesem seltsamen Ort aus.

 

Die Bar, an der die Getränke zubereitet wurden, war recht zentral in der Mitte des Raums platziert. An Barhockern im Halbkreis herum saßen ein paar Männer. Keiner drehte sich um als wir reinkamen, alle schienen in Gedanken versunken vor ihrem Drink oder Bier zu sitzen. Nebelschwaden aus Rauch durchzogen den Raum. Etwas weiter rechts im Raum stand eine kleine Gesangsanlage mit größeren Boxen, einem CD-Spieler und einem Ständer mit Mikrofon. Dazu war ein kleines Podest errichtet worden auf dem gleichzeitig 2-3 Leute drauf Platz hatten. Über dem Podest kreiste eine Diskokugel, welche wohl auch schon mindestens ein Jahrzehnt an Umdrehungen hinter sich hatte. Im Rest des Raums waren vereinzelt Tische verteilt, an denen mit Plüsch überzogene Sessel standen, und manchmal auch eine Couch mit Lederüberzug.

 

Wir steuerten einen runden Tisch an, der in einer dunklen Ecke stand und setzten uns drum herum in einem Halbkreis auf eine recht weiche Couch mit Lederüberzug. Lupo hatte direkt mal für jeden von uns 1 Bier und 2 Schnäpse bestellt, war aber nicht mehr sehr kommunikativ. Er klimperte auf seinem Handy herum, konnte wohl aber die Tasten nicht mehr richtig betätigen. Ob es an seinem angetrunkenen Zustand oder seinen doch viel zu groß geratenen dicken Fingern lag, fiel mir schwer zu beurteilen. Der Abend begann an mir vorbeizurauschen, so wie auf der Hinfahrt die Lichter die Vorderscheibe von Lupos Autos durchbrachen und unsere Gesichter überstreiften, um dann wieder zu verschwinden. Genau wie die Mondstrahlen bei Vollmond durch das dichte Gestrüpp brechen, wenn ein einsamer, rastloser Cowboy auf der Suche nach sich und seiner selbst (oder vielleicht auch entflohenen Kühen) einen Canyon durchstreift.

 

Diese Bild passte wohl am besten zu unserem Lupo. Er war ein sehr großgewachsener, stämmiger Mann, den wohl so schnell nichts umhauen konnte. Er gab sein Vorhaben schlussendlich auf und streckte Anton das Handy entgegen: „Hier mein Freund kannst du vielleicht mal meiner Frau irgendwie beibringen, dass ich heute nicht mehr nach Hause kommen werde?“ Ich musste schmunzeln und Anton versuchte sein Glück. Die Antwort folgte auch sogleich: „Lupo! Mir reicht es! Wenn du heute wieder nicht nach Hause kommst, dann brauchst du die nächsten Nächte auch nicht mehr hier zu schlafen. Ich habe es endgültig genug! So geht das nicht mehr weiter mit uns!“

 

Lupo musterte die SMS mit einer gewissen Gleichgültigkeit, legte das Handy weg und meinte forsch: „Na, wenn das so ist, saufen wir hier weiter!“ Danach murmelte er noch etwas weniger verständlich: „Ich bring euch dann nach Hause und schlafe dann auf der Dienststelle weiter... hoffen wir mal, dass morgen keiner umgebracht wird...“ Um dann wieder den Ton zu heben: „So Männer jetzt wird hier gesungen!“ Er klopfte uns beiden auf die Schulte, stand auf und deutete in Richtung der kleinen Bühne mit der Karaoke-Maschine.

 

Es gab leider nur ein Mikrofon. So standen wir zusammengekauert zu dritt auf dem kleinen Podest ­ Anton, unser Lupo von der Kripo und ich ­ an diesem Mittwochmorgen, draußen kündigte sich schon langsam der Sonnenaufgang an, irgendwo in der belgischen Pampa im Halbkreis um ein Mikrofon. Lupo hatte sein Bierglas noch in der Hand und schwenkte es im Takt mit, als die ersten Noten von dem von uns gewählten Lied durch das Lokal hallten. Anton und Lupo waren beide um einiges größer als ich und ich hatte Schwierigkeiten das Mikrofon zu erreichen und stand, so gut es in meinem Zustand möglich war, auf den Zehenspitzen. Ich musste mich immer wieder abwechselnd an einem der Beiden neben mir abstützen. Anton und Lupo lagen sich schwankend in den Armen und ich irgendwie dazwischen oder darunter oder so. Dann lief der Text auf einem kleinen Monitor am Boden:

 

"How many roads must a man walk down

Before you call him a man?

Yes, ’n’ how many seas must a white dove sail

Before she sleeps in the sand?

Yes, ’n’ how many times must the cannonballs fly

Before they’re forever banned?

The answer, my friend, is blowin’ in the wind

The answer is blowin’ in the wind..."

 

Ich tat mein Bestes mitzuhalten, aber Lupo schmetterte mit so einer Inbrunst los, dass man mich oder Anton eh nicht mehr hören konnte. Im Nachhinein betrachtet wäre es auch vermessen gewesen zu behaupten, dass Lupo besonders gut singen konnte. Oh Wunder! Um das ahnen zu können musste man aber kein großer Wahrsager sein, er hatte ja schon sein „Können“ in der Bar vorher zum Besten gegeben. Aber Herz, Leidenschaft und eine gewisse traurige Romantik konnte man ihm und der ganzen Szenerie sicher nicht absprechen.

 

Draußen grüßten sich gerade Sonne und Mond die sich mit einem Strahlen-High-Five ablösten und drinnen saßen die letzten Übergebliebenen einer langen Nacht am Tresen. Keiner kümmerte sich um uns, alle waren nach wie vor viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Es war schon hell als ich die Autotür schloss und Lupo sich verabschiedete, bevor er dann in leichten Zickzack-Linien davonfuhr. Wir standen vor Antons Haustür winkten Lupo noch nach. Dann kam Antons Nachbar zur Haustür, grüßte uns etwas verschlafen, aber freudig und stieg ins Auto, um zur Arbeit zu fahren.

 

Es quietschte wieder sehr laut und ich wurde abrupt aus meiner Erinnerung herausgerissen. Vor mir bot sich wieder die Szenerie mit dem weinenden B. der jetzt im Polizeiauto saß. Es kam noch ein Polizeiauto ums Eck gerast und bremste abrupt ab. Die Tür knallte auf und unser Trainer von unserer ortsansässigen Fußballmannschaft sprang heraus, ein lustiger Geselle. Über ihn erzähle ich euch dann mehr im nächsten Kapitel. ;)

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