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kapitel 6: ich will für immer ein rohdiamant sein

Weltmetropole an der Donau, 11. Februar 2015

 

Schritt für Schritt, Atemzug um Atemzug, Augenschlag folgt Augenschlag, unterbrochen vom Blinzeln meiner Augen, verursacht durch die ersten wunderbar warmen Frühlingsstrahlen, die auf meine Netzhaut trafen und von dort direkt in mein Herz weitergeleitet wurden. Ja, das waren die Zutaten einer dieser einschneidenden Tage, an denen man ungeplant mit dem Frühjahrsputz beginnt. Das Eis und der Schneesturm, welche sich hier und dort in meinem Körper über den Winter eingenistet hatten, begannen jetzt zu schmelzen und abzuflauen. Ich war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht sicher, ob es eine Flut, vielleicht sogar eine Sintflut der enteisten Gefühle geben würde. Aber in einem war ich mir sicher. Ich spürte wieder die Frische, das Neue, die Spannung. Ja, die Lebensfreude gewann wieder an Konturen und Kontrast. Nur die Schärfe spielte noch etwas verrückt.

 

Ich konnte es einfach spüren, das Leben würde die verstaubten Buntmalstifte vom Dachboden holen und auspacken. Das Einmal Eins der Farben würde sich in der Quadratwurzel von Pi ergießen, um mir ganz banal in dieser schönen Stadtkulisse (in der ich gerade der Skyline, gespickt mit mittelgroßen Hochhäusern, umgeben von ihren glänzenden Glasfassaden, in denen sich die Abendsonne spiegelte, entgegenflog) einfach nur herzhaft „Grüß Gott!“ zu entgegnen. 

 

Eigentlich wollte ich ganz selbstquälerisch joggen gehen. Aber dann hatte mich wohl das, was gemeinhin als „flow“ bezeichnet wird, wenn einen der Eifer packt und die Schmerzen sich in leckere Kekse verwandeln, erwischt. Es fühlte sich gut an! Durch meine Kopfhörer pumpte eine gehörige Ladung Punkrock und floss direkt ungefiltert in mein Blut. Das Leben hatte mich wieder und eins wusste ich ganz genau, nachdem ich das Funkeln, der so ruhig fließend anmutenden Donau in ihrem wegweisenden Kanal erblickte.

 

Ich wusste, was ich in meinem Leben sein wollte! Ich wollte ein Rohdiamant sein. Und zwar diese Art Rohdiamant, die man als so magisch empfindet, dass man keinen Millimeter daran wegschleifen will, weil sie genauso wie sie sind, einfach perfekt sind: simply nur unzerbrechlich schön. Die energiegeladene Spannung, die sich in ihnen verbirgt, bleibt für den raffgierigen Diamantendieb mit blutverklebten Händen für immer verschlossen. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die diese Art von rohen Diamanten zu schätzen wissen. 

 

High wie auf einer Droge atmete ich weiter, Schritt für Schritt, die Umgebung um mich herum verschwamm zu einer unförmigen Blase. Die geballte Ladung Stress tief in mir schien für 30 Minuten Pause zu machen und gönnte sich selbst mal ne Zigarette mit Schnaps zur Beruhigung. Ja, so ein Oscar, eine Palme d'Or oder auch vielleicht irgendwann mal eine goldene Himbeere gewinnen sich nicht ohne Fleiß. Im Volksmund sagt man sich ja im Vorbeigehen neben dem Grüßen in unserer wunderbaren Leistungsgesellschaft auch noch schnell, mehr knirschend gemurmelt als wirklich ausgesprochen: „Ohne Fleiß kein Preiss“. Ich wollte schon immer das machen, was mir Spaß macht, und dummerweise war in dieser Lebensplanung der Weg nach oben unumgänglich. 

 

Schon beim ersten Berufswunsch, der eine ritterartige Astronautenkarriere beinhaltete sollte sich das Zeigen. Mag jetzt alles ein wenig verwirrend klingen, aber dazu dann ein anderes Mal vielleicht mehr. Jetzt wieder zurück auf die Laufstrecke und zurück zu meinem Wunsch auf ewig ein Rohdiamant sein zu dürfen. Auf dem Lebensweg kamen einem immer wieder diese Wellen entgegen, manchmal mehr oder weniger hoch. Die eine konnte man ganz gut zum Surfen nutzen, die andere riss einen wieder mit hinunter. 

 

Ich lief langsam! Schritt für Schritt, meine müden Knochen in Einklang mit meinem Geist bringend. Das Dehnen danach war nur noch Gewohnheitssache, weil es ja nach den neuesten Studien scheinbar eher schlecht als recht sein sollte. Komische Welt. Jedes Mal, wenn ich nach dem Laufen nach Hause kam, ging ich schnurstracks in die Küche, schnappte mir den Wasserkocher, kochte mir einen Ingwertee und legte mich im Wohnzimmer noch ein wenig auf dem Boden um auf die weiße Decke über mir zu starren. Doch an dem Tag ging ich direkt in mein Schlafzimmer und nahm die Flasche mit dem Brief vom Regal.

 

Ich öffnete die Flasche und nahm den Brief heraus. Ich wollte den Brief einfach in den Papierkorb schmeißen, den Brief einfach loswerden. Endgültig! Tat dies auch, drehte mich aber wieder um und wühlte im leeren Papierkorb. Der Brief war weg. Ich blickte wieder auf zu meinem Schreibtisch. Da lag er wieder, als würde er hämisch lächelnd über mich triumphieren und doch irgendwie ganz unscheinbar. Ich holte eine Leiter, kletterte auf meinen Kleiderschrank, wo der Schuhkarton voll mit Erinnerungen stand. Ich öffnete, ohne zu wissen warum, den Karton schnell und ruckartig, versuchte dabei keine Erinnerungen heraus weichen zu lassen. Das wollte ich jetzt nach dem entspannten Laufen vor meiner wohlverdienten Dusche auf jeden Fall vermeiden Eine Kollision mit meinen Erinnerungen wirkte sich leider nicht immer so entspannend auf mein Wohlbefinden aus. Aber warum setzte ich mich jetzt diesem Risiko aus? Ich wusste es nicht. Ich tat oft so impulsartige Dinge, die ich einfach nicht verstand. Das sollte aufhören. Daran sollte ich echt arbeiten, aber jetzt erstmal wieder zurück zum Brief.

 

Ich drückte den Brief hastig wieder in die Flache hinein und schloss den Deckel. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Ich drehte mich um und der Brief lag wieder auf meinem Schreibtisch. Ich dachte, ich würde verrückt werden und fluchte. Ich überlegte kurz, nahm den Brief, steckte ihn wieder in die Flasche. Zog meine Laufschuhe an, lief wieder bis zum Donaukanalufer. Ich liebte diese Strecke, besonders in den abendlichen Sonnenuntergangsstrahlen. Ich nahm Schwung und meine kleine Flaschenpost flog. Es platschte und ich sah die Flasche mit dem Brief langsam mit der Strömung dem Sonnenuntergang entgegentreiben. Ich war erleichtert und trat den Nachhauseweg an und hoffte, ich würde den Brief nie wieder sehen.

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Kommentare: 3
  • #1

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