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Kapitel 2: Mixtapes aus Lebkuchen kann man essen

Weltmetropole an der Donau,  20. Oktober 2014

Weltmetropole an der Donau,  20. Oktober 2014

 

Der Bass und das Stimmenwirrwarr schallten noch im Hintergrund aus dem 3. Stock des Wiener Mietshauses, welches ich grad verlassen hatte. Die Party war noch im vollen Gang, als ich ging. Die Partystimmung hallte mir noch eine Weile, durch die dunkele vernebelte Novembernacht, nach. Dann zog ich meine Kopfhörer aus meiner Jackentasche raus, stöpselte sie mit einer gewissen Traurigkeit, Erleichterung, aber auch Genugtuung in meine Gehörgänge. Mein Gehirn lechzte nach Ablenkung. Nach Gefühlen in Notenform, die mein inneres Befinden zusammen mit der äußeren trüben nasskalten Umgebung in Einklang bringen sollten. Der Boden spiegelte die Straßenlaternen, welche nur noch sehr gedämpft durch den Nebel schienen. Es wäre die perfekte Szenerie für einen „Jack the Ripper“-Horrorfilm gewesen, als ich so um 2 Uhr morgens durch die Gassen der wunderschönen Wiener Altstadt stapfte.

 

Doch jetzt erst mal wieder zurück, durch meine Gehörgänge ins kuschelige warme innere meines Körpers. War es nun mein Gehirn, welches ja rein technisch zuständig für das Versenden von Botenstoffen, die unsere Emotionen leiten, ist? Oder war es doch eher mein Herz, welches diesen Wunsch nach musikalischer Untermalung zu äußern versuchte? Ich überlegte einen Moment lang ob mein Gehirn und mein Herz nicht auch gelegentlich in heftige Streitgespräche verwickelt sein würden. Ich meine, so wirklich einer Meinung konnten die ja nicht oft sein. Mein Herz will meisten unbedingt den Dingen, die mich berühren, mit aller Leidenschaft nachgehen. Mein Hirn hingegen kann da bei mit seiner rationalen Einstellung und Zielstrebigkeit nicht immer mithalten. Hmmm, wie wohl so ein Streit zwischen Gehirn und Herz aussehen würde? 

 

Herz zum Gehirn: „Nerv mich nicht mit deiner einfältigen banalen Rationalität. Du würdest ganz schön blöd schauen, wenn ich hier mal 5 Minuten mit meiner Arbeit aussetze!“ 

 

Gehirn spöttisch: „Laut Kollektivvertrag ist ein solcher Streit aber absolut ausgeschlossen und nur in absoluten unvorhergesehenen Notfällen möglich. Um einen solchen Fall handelt es sich hier wohl kaum. Du hast ja keine Ahnung wie schwer es ist diese ganzen äußeren Eindrücke, die mir ständig zugeschickt werden, sorgfältig zu bearbeiten. Ich hatte schon seit Jahren keinen richtigen Urlaub mehr und dann kommst du mir jetzt mit diesen anstrengenden melancholischen gefühlsduseligen Gedanken!“

 

Das Herz war genervt, da hatte es doch so viel innere Zerrissenheit zu ertragen, neben der alltäglichen kraftraubenden Pumperei. 

 

Der Magen schaltete sich in das Gespräch dazu: „Jetzt macht mal halblang ihr beiden Zankaffen! Diese ganze Geschichte hat nicht nur euch zu schaffen gemacht! Ich bin doch auch so sensibel bei solchen Sachen und mich hat es schon mehrmals umgedreht. Wer glaubt ihr, konnte dann die ganze Sauerei wieder bereinigen?“ 

 

Das Gehirn fühlte sich beleidigt: „Immerhin läuft hier ohne mich gar nichts! Schließlich steuere ich euch Halb-Amateure, helfe euch halbwegs über die Runden und verhindere, so gut es geht, jede größere Unsinnigkeit, die ihr im Stande zu fabrizieren wärt!“ 

 

Zu guter Letzt meinte auch noch die Leber sich einschalten zu müssen: „Kann ich denn etwas für den ganzen Scheiß, den er da in sich hineinschüttet??! Würdet ihr 3 nicht ständig so im Zwist sein, würde das vielleicht auch mal aufhören... Eine Pause hätte ich dringend nötig!“ 

 

Okay okay, genug gehört! An dieser Stelle klinkte ich mich wieder aus, die würden das schon auch ohne meine Lauscherei irgendwie beigelegt bekommen. Schließlich brauchte ich sie ja alle noch einige Zeit (und sie mich ja auch irgendwie). Ich ging also Schritt für Schritt weiter. Hin und wieder spiegelte ich mich in den nebligen kleinen Gassen in den Schaufenstern einiger kleiner Läden. Ich blieb stehen und betrachtete mich. Erst war mein Blick etwas leer und verloren, doch dann wurde er fester und sicherer. Ich war überzeugt: Die emotionale Zeitbombe war hinterlegt! Die Frage, die ich mir stellte: Würde sie jemals mit voller Wucht hochgehen oder war sie nur ein gefühlsduseliger Rohrkrepierer? Das Geschenk war übereicht. Doch ob es mitten ins Herz treffen würde, das wusste ich nicht.

 

Viele Gedanken steckten in diesem Vorhaben. Bereits ein paar Wochen vor der Party suchte ich auf Flohmärkten, trödelte durch kleine verstaubte Läden und fragte mich bei meinen Freunden durch. Es war gar nicht mehr so einfach, eins dieser Dinger aufzutreiben, die vor ein paar Jahren noch Generation um Generation, mit ihrer einzigartigen, aber für heutige Sicht umständlichen Bedienung, geprägt hatten. Obwohl ich zugeben musste, dass mir diese gezwungene unperfekte langsame und umständliche Bedienung heutzutage manchmal fehlte. Ich meinte dies eigentlich auch nicht nur auf diese eine bestimmte Ding bezogen, sondern allgemein auf das Leben. 

 

Irgendwie versuchte der Mensch mit jedem voranschreitenden Jahrzehnt diese sympathische riesige, bunte und vor allem mit vielen kleinen Fehlern durchspickte Welt immer kleiner, gleichförmiger und vor allem perfekter zu machen. Doch war diese immer schneller werdende, bequeme Perfektion, nach der wir alle strebten oder zu streben glaubten, nicht auf Dauer genau das Gegenteil von dem, was uns wirklich guttun würde? Eine schwierige Frage, denn zweifelsohne war nicht jeder Fortschritt kontraproduktiv – ganz im Gegenteil. Aber in der Welt, in der ich Leben wollte, sollten wir uns einen Sinn für die unperfekte sympathische Suboptimalität, die uns einen gewissen Teil unserer liebenswürdigen Einzigartigkeit behalten lässt, bewahren. 

 

Beständige Behäbigkeit konnte also auch etwas sehr Anziehendes haben. Deswegen mochte ich Wale schon immer sehr. Sie waren groß und behäbig. Jahr für Jahr durchschwammen sie die Weltmeere und überall, wo sie auftauchten, sorgten sie mit ihrer majestätischen Pracht für Bewunderung, bevor sie wieder in den Untiefen des Ozeans verschwanden. Ich stellte mir vor, wie so ein Pärchen mit ihren drei Säuglingen Jahr um Jahr die gleiche Reise antrat. Vereint als Familie, den biederen Umständen zum Trotz, Flosse an Flosse, Schlag um Schlag dem Leben entgegen. Wären da nicht diese grausamen Wahlfischfänger, die ihr bestialisches Unwesen auf unseren sieben Weltmeeren trieben. Puhh, von diesen doch schon romantischen Bildern schweifte ich also wieder ab in eine sehr gruselige Realität. Danke Gehirn, für den Schlag mit der moralischen Realitätskeule. Also wendete ich mich wieder lieber meinem Herzensgefühl zu. 

 

Nach einiger zeitintensiven Suche hatte ich das gesuchte Teil dann schlussendlich doch gefunden. Es handelte sich um einen Kassettenrecorder, mit dem ich mein kleines aber ganz persönliches Geschenk fabrizieren wollte. Ich gab mir große Mühe das Mixtape so perfekt wie nur möglich hinzubekommen. Und genau da wären wir wieder beim Thema: Alles, was der Mensch tut, beherbergt einen Gewissen Drang und Wunsch nach einer Perfektion. Aber gerade hier, wo es um Emotionen ging, waren die kleinen Fehler, die mein Mixtape zu einem ganz besonderen machen sollten, wichtig. Ich saß also da, mit meiner fertigen Mixkassette, nahm einen Stift und schrieb in den inneren Umschlag: 

 

„Lieder sind wie Orte an denen zum, scheitern verurteilte Superhelden geboren werden. Sie erzählen davon, wie sie leben, leiden, lieben, hassen, aufscheinen, untergehen, glücklich sind, in Melancholie versinken oder einfach nur gekommen sind um zu bleiben. Und jeder von uns trägt sie in seinem Herzen, diese vielfältigen Superhelden. Vor allem aber sind es die Lieder, die diese kurzen Augenblicke untermalen, in denen man die Welt um sich vergessen oder einfach nur mal mit ganz anderen Augen betrachten will. Es sind diese kostbaren Schätze, die man nur ganz wenigen Menschen persönlich weitergeben will, weil sie sonst in ihrer fragilen Purheit und Ehrlichkeit abnutzen. Ein Mixtape kann mehr ausdrücken als einzelne Worte, muss es aber nicht! Und dieses kleine, bescheidene Geschenk ist einfach nur von mir nur für dich und genau das soll es auch sein! Alles liebe zum Geburtstag X.!

 

Ich packte das Mixtape in Geschenkpapier und legte es zum Papierschiff auf meinen Schreibtisch. Damals war noch einige Zeit bis zur besagten Party, aber ich fühlte mich in diesem Moment gut, besinnlich gut. Ein fast schon vorweihnachtlicher stiller Frieden machte sich in mir breit. Weihnachten lag zwar zeitlich noch entfernter als die Party und doch roch es in meinen Gedanken schon nach Lebkuchen, einem Mixtape aus Lebkuchen.

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